Indien II: Bombay-Goa - 19.-28. Dezember 2013

 Der Moloch Bombay liegt auf einigen Inseln und Halbinseln, die wir mit einer kleinen Fähre (Typ „Nussschale“) zum südlichen Festland hinter uns ließen. Auf der anderen Uferseite hieß es dann „Welcome to the jungle!“, denn ein dichter subtropischer Wald tat sich vor uns zum Auftakt unserer ersten Etappe in Indien auf. Wir wollten Richtung Süden, nach Goa, dem legendären Strand der Hippies und Traveller.

 

Der Weg führte über 600 km auf einer kleinen Straße am Strand entlang. Solch eine Länge lässt sich normalerweise in ungefähr einer Woche schaffen. Nicht so in Indien: Fast zehn Tage brauchten wir für das Stück, denn die Straßen waren teilweise in erbärmlichem Zustand. Dass es oft sehr bergig war, war ja noch akzeptabel, aber wenn man die Anstiege auf Rumpel- und Schotterstrecken erklimmen muss, kann das ganz schön schweißtreibend werden. Überraschend war zudem, wie wenig Englischkenntnisse in dieser ehemaligen britischen Kolonie verbreitet sind: Die Beschilderung war durchweg auf Hindi (und nicht etwa zusätzlich auf englisch, wie im Iran oder Irak) und auch von den Leuten sprachen es relativ wenige.

 

Nichtsdestotrotz waren Tomas und ich uns einig, dass Indien auf dem Land viel schöner und entspannter ist als in der Stadt. Schon bei der Ankunft mit der Fähre fiel uns die Stille auf, die wir seit Bombay nicht mehr gewohnt waren. Die Leute grüßen freundlich und sprechen uns interessiert an. Bettler gibt es kaum. Zwar regnete es nicht so viele Einladungen zum Übernachten wie bei den Iranern oder Kurden, was natürlich beileibe keine Kritik sein soll (das macht in Mitteleuropa ja auch keiner). Aber immerhin wurden wir einmal völlig spontan von einer Hochzeitsgesellschaft eingeladen. Wir wussten gar nicht, wie uns geschah, sondern wurden förmlich hineingezogen und bekamen leckeres Essen vorgesetzt. In kulinarischer Hinsicht sollte ich in diesen Breiten eine verstörende Erfahrung machen: Ich mag vegetarisches Essen! Über eine Woche lang konnten wir in diesen Breiten kein fleischliches Essen auftreiben, weil das hier nicht so üblich ist. Es wird stattdessen viel mit Curry-Dips, Reis, Kartoffeln und ähnlichem gearbeitet. Aber oh Wunder, es schmeckte uns und wir wurden auch noch satt davon! Wirklich sehr verstörend...

 

Wer die westlichen Klischees vom verklärten Indien sehen will, der kriegt sie hier jedenfalls: Überall die unvermeidbaren Kühe (ob als Lasttiere oder als Fußgänger auf der Straße), Schüler in britischen Uniformen oder junge Frauen bei der Wäsche an Flüssen sowie Palmenwälder, Languren-Affen, Tuk-Tuk-Taxis etc. Und vor allem natürlich: Frauen in bunten Saris, die jegliche Art von Lasten auf dem Kopf tragen, seien es Berge von Reisig, Wasserkrüge oder Kuhfladen, akkurat auf Brettern aufgehäuft. Warum man das alles auf dem Kopf tragen muss, hat sich mir nicht so recht erschlossen. Offenbar scheren die Inder sich nicht um neumodische Erfindungen wie das Rad. Nur selten hab ich mal eine Schubkarre oder einen Bollerwagen gesehen - und wenn doch, wurden die die Vehikel von Männern geschoben. Die schwere Arbeit wird leider hauptsächlich auf den Köpfen der Frauen abgeladen.

 

Bei aller ländlichen Idylle erfuhren wir aber auch die, freundlich ausgedrückt, „konservativen“ Moralvorstellungen, die auf dem Land herrschen. Wenn die Mädchen jung sind, sind sie noch unbeschwert und winken uns lachend zu. Doch ab dem heiratsfähigen Alter ist es für die meisten von ihnen mit der Unbeschwertheit vorbei. Oft es ist nicht möglich, eine Frau ab dem heiratsfähigen Alter nach dem Weg zu fragen, denn sie wendet sich von vornherein von uns fremden Männern ab. Als wir an einem Abend zum Essen eingeladen wurden, mussten die Frauen im Hintergrund das Essen zubereiten, setzten sich aber nicht zu uns an den Tisch und vermieden jeglichen Blickkontakt mit uns. Die Vergewaltigungsfälle in Indien, von denen in jüngerer Zeit so oft berichtet wird, werden Medien zufolge vor allem von Männern vom Land verübt, die solche Moralvorstellungen gewohnt sind und die dann in der Stadt auf moderne Frauen treffen, die einen freieren Lebensstil pflegen.

 

Zu Weihnachten gönnten wir uns ein Zimmer in einem Gasthaus mit Internetanschluss, damit wir mit unseren Lieben zu Hause skypen konnten. Das Gasthaus war nicht weit vom Strand entfernt, so dass wir tagsüber im Meer schwimmen konnten. Hat man ja auch nicht alle Tage zu Heiligabend. Ansonsten aber übernachteten wir meist im Zelt, irgendwo im Busch oder am Strand. So konnten wir jeden Abend die Sternschnuppen zählen und uns bei einem kleinen Feuer Geschichten erzählen, wie sie wohl nur die Radler erleben.

 

Nach knapp zehn Tagen erreichten wir schließlich Goa und erholten uns für einige Tage von den Strapazen der vergangenen Tage.

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